Mittwoch im Mittelpunkt: 25 Jahre Deutschland

Gestern war ich für einige Stunden in Berlin. Ich musste zur ungarischer Bootschaft, um Papierkram zu erledigen. Ich hatte einige Stunden Zeit, bevor mein Zug zurückfuhr, so schlenderte ich etwas ziellos durch die Straßen. Überall wurde ich mit dem 25 jährigen Jubiläum der Mauerfall konfrontiert und plötzlich mit meinem Eigenen. Wie ein Blitz wurde es mir bewusst, dass ich fast auf den Tag genau vor 25 Jahren nach Deutschland kam.


Ich war damals noch nicht mal ganz 19 Jahre alt und stand ziemlich aufgeregt mit einem Koffer und einem Rucksack auf dem Ostbahnhof in Berlin. Ich musste nach Westen zum Hauptbahnhof, wo mein Zug nach Hannover weiterfuhr zur meiner Au-pair Familie.
Dunkle Gänge, strenge Grenzbeamte, ewige Kontrollen, viele Menschen, Kloß im Hals, Angst um nicht den Zug zu schaffen, um mich zu verirren, die falsche Bahn zu nehmen, nicht verstanden zu werden. Nichts ahnend, dass nur einige Monate später diese Grenzen nicht mehr existieren werden, dass aus dem einem Jahr Au-Pair Aufenthalt schnell 25 Jahre werden.

Ich wusste nicht, was mich erwartet. Ich war neugierig und wissbegierig. Ich habe vorher viel gelesen, über die Kultur, Kunst, Literatur, Bräuche und Menschen, um gut wie möglich vorbereitet zu sein. Ich "wusste" dass das Wetter schlechter ist, als in Ungarn, die Menschen distanzierter, Freundschaften werden nicht so schnell geschlossen, es herrscht mehr Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit. Ich war offen. Offen  und voller Erwartungen, um diese für mich damals neue Welt kennenzulernen.

25 Jahre sind vergangen. Es gibt keine Mauer mehr, es gibt keine Grenzen, ich verstehe, spreche, denke und ja, ich träume oft auf Deutsch, aber immer noch gerne mit der-die-das Fehler. Das Wetter ist tatsächlich schlechter, als in meiner Heimat und es ist ziemlich das Einzige, woran ich mich bis heute nicht ganz gewöhnen konnte. Ich mag die Menschen hier. Etwas distanzierter, aber ehrlich. Ja, ich mag es.
Ich mag die gewisse Ordnung und Übersichtlichkeit, die besagte deutsche Pünktlichkeit übertreffe ich allerdings oft. Ich liebe die deutsche Literatur, Kunst, ich pflege gerne deutsche Bräuche neben den ungarischen, ich mag und koche gerne die gute deutsche Hausmannskost.....

Ich wurde hier immer ausnahmslos mit Respekt behandelt. Nie hatte ich schlechte Erfahrungen.
Ich habe viele Deutsche Freunde, die ich nicht missen möchte.  Ich liebe meine Heimat, aber mein Zuhause ist Deutschland. Schön ist es hier!

Ein großes Dankeschön!

Das kleine Kunstwerk wollte ich eigentlich gestern zur Julias Kinderkunst-Tag zeigen.  (Wie war es noch mal mit der Pünktlichkeit?) Es hat Emil vor etwa einer Woche gemacht. Einfach nur so. Ein Segelboot der zwischen Ungarn und Deutschland segelt.  Der Kreis schließt sich. 

Kommentare

  1. Liebe Éva, ich freue mich wieder ein paar Zeilen von dir zu lesen. So lange bist du schon hier... Also ich habe mich ehrlich gesagt mit der niedersächsischen Mentalität etwas schwer getan :-) da ich ja im Rheinland aufgewachsen bin.... da sind die Menschen nicht ganz so distanziert... Schön, das du dich hier wohlfühlst.

    Liebe Grüße Claude

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  2. wie schön es ist, wenn man sein zuhause so innig findet.
    und spannend auch, wie unterschiedlich das leben von land zu land doch ist; österreich beispielsweise ist wieder so anders als deutschland. vielleicht auch so ein segelboot zwischen deutschland und ungarn ...

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  3. Seine Wurzeln vergißt man nicht, auch wenn man woanders ein Zuhause findet. Und das ist gut, wie es ist. Heute tut es sowieso wohl, vorallem Weltbürger zu sein. Und dem Mensch nach seinem Herzen zu beurteilen und nicht nach seiner Nationalität war schon immer die beste aller Wahrnehmungen...
    sonnige Grüße

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  4. Oh, liebe Éva, das hast du aber berührend geschrieben....Ja, wir Deutschen sind schon manchmal ein etwas eigenwilliges Völkchen...und wir wissen das...;-) Aber wenn wir erst einmal Freundschaften geschlossen haben, dann sind sie meist sehr beständig...und kommen von Herzen....;-) Ich freue mich sehr, dass du dich in Deutschland wohl fühlst! LG Lotta.

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    1. es stimmt schon, dass hier die menschen in deutschland, gerade hier im norden etwas distanzierter sind, als anderswo. freundschaften werden meist nicht so schnell geschlossen, aber wenn, dann sind sie ehrlich und langfristig. ich habe es mit der zeit sehr zu schätzen gelernt. allerdings finde ich es unglaublich wichtig, dass man das land in dem man lebt, seine menschen, sprache, traditionen mit ebenso viel respekt und interesse behandelt, was man selber, als gast erwartet und sich nicht isoliert und in der kleinen eigenen welt stecken bleibt. ja, offenheit ist das zauberwort. es macht so viel einfacher und verständlicher.

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    2. Wie unterschiedlich es doch auch in Deutschland sein kann. Hier in Sachsen geht es weniger distanziert zu. Ich kenne es ja nicht anders, aber von Außenstehenden höre ich oft, dass die Menschen hier sehr herzlich. offen und freundlich sind. Und ich habe das Gefühl, dass man schnell Freundschaften entstehen lassen kann.

      Ein schönes Post zum Thema ein Leben ohne Grenzen.
      Danke!

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  5. schöner post... schön geschrieben ohne der-die-das fehler ;-)
    ♡lichst, marika

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  6. Wie schön du das geschrieben hast. Ganz toll. Und das Werk von Emil passt so wunderbar. Liebe Grüße! Julia

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  7. liebe éva,

    herzlichen Glückwunsch - wow eine lange Zeit!
    ich bin glücklich, über die Freundschaft unserer Jungs deine Freundschaft gefunden zu haben.
    glg isabelle

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  8. Ganz berührt..., ja, Offenheit ist das Zauberwort, das merke ich auch immer wieder, wie gut es damit geht, wenn man davon eine gute Portion im Gepäck hat, öffnet sie einem immer wieder Türen und Menschenherzen... Lieben Gruß Ghislana (die sich freut, dass es hier wieder mal einen Mittwoch im Mittelpunkt gibt)

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  9. ein schön geschriebener rückblick, du bist wirklich angekommen. was einem selbst im eigenen land nicht immer glückt ... meine mutter hatte nach 30 jahren deutschland zu großes heimweh und ist deshalb (mit meinem vater) zurück nach dänemark gezogen. für beide eine gute entscheidung, auch wenn ich sie oft vermisse. liebe grüße, wiebke

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  10. Wie schön, dass Du geblieben bist!!

    Allerliebste Grüße,
    Kerstin

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  11. Hach, ja. Mir geht es genau andersrum. Ich mag Ungarn sehr viel mehr als Deutschland, die Menschen sind herzlicher und offener, das Wetter ist eben schöner, ich liebe die Landschaft sehr und genieße gerne ungarische Spezialitäten. Ich mag das, wenn ein wenig Chaos herrscht und alles ein bisschen lockerer genommen wird.
    Sicher wandere ich mal nach Ungarn aus, ein bisschen bleibe ich aber noch im schlechtwettrigen, distanzierten Deutschland (:

    Aber ich gratuliere, dass du es so lange mit uns Deutschen ausgehalten hast und ich hoffe, dass es dir auch weiterhin gefällt. (:
    Liebe Grüße,
    Mili

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  12. das ist ein ganz wunderbarer text

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  13. Ein wirklich berührender Rückblick... Schön, dass du hier bist! Und die Bebilderung mit der famosen Kinderbastelei ist einfach wunderbar.
    Mit lieben Grüßen, Ulli

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  14. Das ist doch ein Grund zu feiern. Und ich freue mich sehr für dich, dass nur nur gute Erfahrungen gemacht hast. Am Wetter können wir gerne gemeinsam etwas ändern ;)!

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  15. Ich habe erst heute deinen Post gelesen. Und nachdem ich mich heute wieder mit den erschlagenden Schatten der deutschen Vergangenheit herumgeschlagen habe ( Grund: der aktuelle Post einer Bloggerin aus meiner Odenwälder Heimat zu Kzs ), freu ich mich, dass jemand sich freut, hier zu leben & dass sich in diesem Lande auch vieles positiv verändert hat. Den Blickwinkel der "Fremden" brauch ich manchmal! wenn ich mit meiner Heimat hadere...Danke, Eva!
    Astrid

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  16. ein ganz wunderbarer post der mich sehr angerührt hat. und emils kunstwerk ist einfach nur toll - was für ein statement!!
    herzliche grüße an dich, mano

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  17. Liebe Éva,
    selbst ich wunder mich immer wieder über die Deutschen und könnte manchmal daran verzweifeln... wie muss das erst für jemanden sein, der nicht in diesem Land geboren ist?
    Ich finde, du bist eine Bereicherung für uns alle! Schön, dass du da bist!
    Liebe Grüße aus der Nachbarschaft,
    Regina

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  18. So schön geschrieben - und ich freue mich mit Dir, dass Du Dich hier so sehr Zuhause fühlst. Heimat bleibt Heimat - aber sich Zuhause zu fühlen - unschlagbar : )

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  19. … ein Jahr davor war ich zu meiner (schrecklichen) Pariser au-pair Familie gestiefelt…
    liebe Grüsse und danke fürs Erzählen!

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  20. liebe éva,
    deine zeilen haben auch mich sehr berührt!
    mein vater lebt seit fast 60 jahren in deutschland. zuhause ist er hier immer noch nicht, aber in ungarn schon lange nicht mehr ...

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  21. Liebe Eva, schön dass du hier bist, dass du angekommen bist. In Ungarn war ich oft. Ich liebe die Höflichkeit der Menschen, die Höflichkeit in der Sprache, das Land und deinen Blog ganz besonders. Herzlichen Glückwunsch zu 25 Jahren hier sein - ein Segler zwischen den Welten bleibt man, glaube ich, immer. Gut so. LG - Szívélyes üdvözlet Iris

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  22. Liebe Èva, ich habe gerade eine wunderbare Gänsehaut bekommen als ich deinen Text gelesen habe. Toll! Herzlichen Glückwunsch! Isabell

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