Oster damals

Vor Kurzem geriet mein altes, ich glaube einziges Schulheft, die ich noch von mir habe, in die Hände.
Es ist ein Aufsatzheft aus der 3. Klasse.


Beim Lesen habe mich nicht nur köstlich amüsiert, sondern fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt. Beinah zu jedem Anlass müssten wir einen kleinen Aufsatz schreiben, entweder in der Schule, oder als Hausaufgabe. Das kleine Heft, so bescheiden es auch geschrieben ist, erzählt von Anfang September, bis Mitte Juni über alle wichtigen Ereignisse des Grundschullebens und über die Kindheit, Ende der 70-er Jahre, in einem kleinen ungarischen Dorf.

Es fängt mit der Apfel und Weinernte an, dann folgen Nikolaus, Weihnachten, die Beschreibung eines Sportuntterichts- wir schlidderten mit Schuhen  am zugefrorenen Bach und fuhren Schlitten am Hügel.
Fasching, Frühling, Oster, Muttertag. Es endet mit Zeilen über dem Kindertag, der im Dorf gemeinsam mit den Erwachsenen, mit einem Ausflug in den Wald und gemeinsamen Kochen gefeiert wurde.

Ich musste öfter meine Augen schließen, um mich dem Gefühl der Kindheit näher sein zu können.
Dem wundervollen, unbeschwerten Kindheit, ohne riesen Ereignisse und spektakuläre Tätigkeiten. Eine Kindheit mit den kleinen Freuden der die Jahreszeiten bieten, Traditionen und Feste.

Zwei kleine Aufsätze erinnern an die Osterzeit. (Man sieht deutlich am Schriftbild, welche ich Zuhause unter den Argusaugen meiner Mutter und welche ich in der Schule geschrieben habe)
Ich versuche es mal so authentisch wie möglich zu übersetzen:

Um die Geschichte besser zu verstehen, eine kleine Erklärung im Voraus:

In Ungarn wurden (werden)  traditionell am Ostermontag die Frauen und Mädchen von den Männern - Familienmitglieder, Nachbarn, Kollegen - mit mehr oder weniger Wasser bewässert , um nicht zu verwelken und das ganze Jahr über in frischer Blüte zu stehen. Es wurden kleine Gießreime aufgesagt, um die Bewässerungserlaubnis zu bitten. 
Die Jungs gossen die Mädchen meist mit einem Duftwässerchen, Väter hatten ihren Spaß an den Sodaflaschen und junge Männer zogen ihre heimliche Liebe und die schönsten Mädchen gerne an den Brunnen. Dafür gab es schön bemalte und Schokoladeneier. Die ältere Mädchen schenkten ihren Verehrern Blumen. Die Farben deuteten oft auf eine erwiderte Liebe, oder Ablehnung hin. Die Männer blieben auf ein Häppchen und auf einen kleinen Plausch, tranken noch ein Schnäpschen und zogen dann auf mehr oder weniger wackeligen Beinen weiter. 
Die Schulkinder gingen sehr früh los, um  möglichst viele Schokoladeneier einzusammeln. Später gab es nur noch bemalte. Viel Osterbesuch deutete auf große Beliebtheit hin.  Wir zogen Striche mit meiner Schwester und zählten alle männliche Besucher.  Es kamen viele. Meine Mutter war die Lehrerin im Dorf. Ich glaube es gab kein einziges Kind, der nicht bei uns war. Ihre Väter folgten. Wir waren unglaublich Stolz.
Am Ende des Tages - und noch einige hinterher - stanken wir fürchterlich nach einer wilden Mischung Kölnischwasser. 





 Oster

"Als ich morgen früh aufstand, war mein Papa der Erste, der mich begossen hat.
Erstmal spritzte er uns mit Wasser ab, danach mit Kölnischwasser.
Danach begoss uns Großvater.
Endlich kamen auch die Jungs.
Wir schenktem jeden ein rotes Ei und Schokoladen.
Bei uns waren genau 31 Jungs.
Danach kamen die Onkels.
Sie begossen uns auch. "

Bemerkung der Lehrerin: "Schlusswort?"



Wir sind drei Geschwister. Ich bin die Älteste. Meine Schwester Ági ist knapp ein Jahr jünger, als ich. 
Meine jüngere Schwester Ildi sechs Jahre. 
Mein Papa war ein großer Naturliebhaber. Um meine Mama zu entlasten, die neben uns drei Kindern auch noch unterrichtete, nahm er uns beide oft mit auf Abenteuertouren auf Wiesen, Felder und Wälder  der Umgebung




Es passierte im Ferien

"Es war schönes, sonniges Wetter am Ostermontag.
Am Vormittag warteten wir auf die "Gießgäste"
Am Nachmittag gingen wir auf den Berg.
Die ganze Familie war zusammen. Mama, Papa, Ági, Ildi und ich.
Sogar unser Hund Dani rannte fröhlich hinter uns her.
Er holte uns schnell ein und ging immer ganz vorn. Wir mit Ági rannten ihn immer hinterher.
Vom Berg oben schauten wir runter und wir sahen das ganze Dorf. Es war so schön!
Am Nachhauseweg schnitten wir blühende Zweige. Zuhause stellten wir sie in die Vase. Wir haben uns darauf gefreut.
Wir machen jede Woche einen Ausflug mit Papa, aber es war schöner so, weil Mama und Ildi auch mitgekommen sind."


Es gab keine große Aktionen, es gab keine großen Geschenke. Es gab nur ein kleines verstecktes Nestchen für jedes Kind am Ostersonntag mit einigen kleinen Süßigkeiten und vielleicht ein schönes Buch. Dies erwähne ich nicht mal im Aufsatz. Es war nicht wichtig.
Wichtig war das Fest und die Vorfreude darauf. Ich habe es geliebt.
Ein bisschen versuche ich es auch für meine Kinder mitzugeben.
Es gibt immer noch nur ein kleines Nestchen am Ostersonntag, mit etwas Süßem und eine kleine Aufmerksamkeit.  Dann kommen auch Onkel und Oma und wir werden den Tag, wie jedes Jahr miteinander verbringen. Wir werden schön gemeinsam essen und den Tag einfach genießen.
Wir freuen uns darauf!

Kommentare

  1. Wunderschön, wenn einem solche Erinnerungen in die Hände fallen. Meine Mutter hat mir auch vor einigen Wochen eine Mappe mit Zeichnungen aus Kindergarten- und Grundschulzeit von mir gegeben. Ich war einige Stunden in mein Kind-ich versunken. Lange vergessenes wird wieder hervorgekramt, man sieht, fühlt und vor allem riecht wieder Kindheit.

    LG Verena

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Éva, was für ein wunderbarer Beitrag, ich bin ganz ergriffen, melancholisch, ein bisschen wehmütig, alles durcheinander.
    Danke dafür.
    Nina

    AntwortenLöschen
  3. welch köstlich nach kölnisch wasser duftende ostergeschichte aus deiner kindheit:) dank dir, liebe eva, dass du uns mitgenommen hast auf deine zeitreise...
    liebst birgit, die in der schule auch noch schönschrift (als schulfach) hatte

    AntwortenLöschen
  4. ein wahrer schatz, dieses heftchen. das würde man als kind beim schreiben wohl auch nicht vermuten, welche freude man später daran haben wird.
    das mit dem "bewässern" gefällt mir - so ein lustiger brauch.
    ganz liebe grüße von ulma, die gerade bei birgit liest, dass sie schönschrift in der schule hatte - ich hatte das auch (in der schule und danach sogar im studium)

    AntwortenLöschen
  5. Liebe Éva, mir geht es wie Nina, ich habe auch ganz viele Gefühle. Ich lächelte, lachte laut auf, hatte Gänsehaut, sah dich und deine Familie mit Hund Dani den Berg erklimmen, hörte das fröhliche Lachen von euch drei Schwestern und ich schwöre, dass ich euch riechen kann. Eine wunderbare Erinnerung hast du da ausgegraben und wie schön, dass du sie in Gedanken nacherleben durftest. LG und frohe Ostern, wenn sie kommen.

    P.S.: Habt ihr die Tradition des Begießens eigentlich beibehalten? ;)

    AntwortenLöschen
  6. Ja, liebe Éva, wie einfach das Leben doch in der Kindheit sein konnte. Ich muss immer denken, dass so die Geschichte vom Paradies aufgekommen ist...
    Herzlichst
    Astrid

    AntwortenLöschen
  7. Danke fürs Teilen. Ich denke heute oft, die Fülle der Dinge und der Aktivitäten, die alle immer und überall haben, läßt heute die Kindheit schneller vorbeifliegen. Und Traditionen und Rituale in der Familie sind etwas sehr schönes.
    Schön, dass dir das Heft erhalten geblieben ist.Ich habe auch schon Hefte aus dem Altpapier gefischt, die weggeworfen werden sollten. irgendwann freuen sich meine Großen vielleicht darüber.
    Viele Grüße kaze

    AntwortenLöschen
  8. Den Brauch mit dem Begießen kenne ich - nur nicht so dezent;) Bei uns ist man Mädchen mit Eimern voll Wasser hinterher gelaufen. Da mußte frau schnell sein, was nicht einfach war mit Rock und feinen Schuhen.
    Dein Heft ist eine wunderbare und kostbare Erinnerung.

    Liebe Grüße

    Margarete

    AntwortenLöschen
  9. Was für ein schöner Schatz, dieses Heft. Und was für wunderbare Erinnerungen!
    Das draußensein im Wald, in der Natur - mit Papa und der Schwester und dem Hund - das sind auch die mir liebsten Kindheitserinnerungen.
    Das Begießen ist ja ein lustiger Brauch. Ich kann es mir richtig vorstellen. :)
    Dir und Deinen Liebsten schöne Ostern, liebe Éva.

    AntwortenLöschen
  10. Schöne Erinnerungen an die Kindheit sind so wichtig und es ist wunderbar, wenn einem kleine Erinnerungshelfer, und dazu noch so schöne, in die Hände fallen! Den Brauch kannte ich nicht. Danke für die Horizonterweiterung! Liebe Grüße, Nicole

    AntwortenLöschen
  11. Da hast du aber ein schönes Erinneungsheft. Einfach toll, wenn man nach Jahren mal wieder lesen kann, was einen als Kind so bewegt hat. :)

    AntwortenLöschen
  12. ...was für eine schöne Geschichte!!!!
    Lieben Gruß
    Anja

    AntwortenLöschen
  13. zwei schöne aufsätz[ch]e[n].
    das feinste woRt: 'gießgäste' *lach*
    so heRRlich. käthe.

    AntwortenLöschen
  14. Was für ein Reichtum. Ich wünschte, ich besäße auch solche Kindheitserinnerungen aus erster, eigener Hand. Ich merke, daß sich, wie bei jedem, das Denken mit der Zeit verklärt, vernebelt, romantisiert und abschweift. Diese Erinnerung sind jedoch unverfälscht und pur. Da bin ich ein wenig neidisch.
    Dir danke für diesen wunderbaren Einblick! Bewahr diesen Schatz gut!

    AntwortenLöschen
  15. toll, dass du noch dieses heft hast! dein bericht bringt mir auch sehr schöne erinnerungen an die osterfeste meiner kindheit zurück. eier suchen im waldgarten mit meinen vielen geschwistern, immer besuch im haus, blumen und osterzopf auf dem tisch. geschenke gabs bei uns ostern auch nicht, da waren uns die eier und das fest genug. liebe grüße, wiebke

    AntwortenLöschen
  16. Wie wunderbar, dass du die Hefte noch hast! Ich trauere um meine sehr, die einem Ausmistwahn meiner Großmutter zum Opfer gefallen sind - diese Aufsätze aus Kindertagen sind unwiederbringliche wunderbare Erinnerungen!
    Auch bei uns war Ostern "klein" - ein Nestchen und vielleicht neue Socken. Dafür überwiegen die Erinnerungen an fröhliche Kinder, die mit Ratschen durch den Ort laufen, Veilchen, klapperige 70er-Kinderfahrräder und alte bunte Tretroller...
    Liebe Grüße
    Dania

    AntwortenLöschen
  17. das ist so schön! ich hatte eben beim lesen so viel freude und war ein wenig dabei! hast du den kölnisch-wasser-duft heute noch in der nase? ich rieche nämlich immer sofort meine (schon lange verstorbene) großmutter bei diesem duft. sie parfümierte sich immer heftig damit ein.
    ich habe auch noch drei schulhefte aus meiner grundschulzeit und hüte sie wie einen kleinen schatz.
    dir ganz vielen dank fürs zeigen und übersetzen!
    herzliche grüße, mano

    AntwortenLöschen
  18. So intensive Momente mit der Familie und Freunden zu erleben ist doch ein Geschenk.
    Danke, das wir dabei sein durften bei Deinen persönlchen Kindheitserinnerungen, mit den so eigenen Bräuchen. Das "Begießen" ist ein schönes Ritual - Kindheit wo bist du?

    AntwortenLöschen
  19. herzzerreißend :) einfach nur toll ! und welch schöne Schrift :)

    AntwortenLöschen
  20. Was für ein Post!

    Wunderbar und auch noch eine tolle Handschrift!

    LG

    AntwortenLöschen
  21. Oh wie schön ist das denn! Ganz ganz wundervoll und die Kölnischwasser Geschichte solltest Du malen!

    AntwortenLöschen
  22. Da bekomme ich eine Gänsehaut, so schön ist das!

    Danke für´s Zeigen und Erzählen, ganz liebst,
    Steph

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen